Newsletter September 18

Liebe Eltern, liebe Freunde und Interessierte

Spielen ist eine Fähigkeit, die jedes Kind mit auf die Welt bringt. Und das Schönste ist: diese Fähigkeit kann niemals sterben! Sie kann höchstens verborgen oder eingemauert sein.

Allerdings gibt es viele Erwachsene, die von sich oder ihren Kindern behaupten, sie könnten nicht spielen und wollten es auch nicht. Andere suchen Spiel sehnsuchtsvoll und finden vielleicht nur Surrogate, die süchtig machen  anstelle der tiefen Befriedigung, die sie hoffentlich als Kind erleben durften (wird leider immer seltener!).

Kinder, die noch frei und voller Enthusiasmus spielen können mit nie erlahmender Energie, Fantasie und Freude, sind und waren den Erwachsenen oft suspekt. Dieses Spiel kann man eben nicht in Schachteln verpackt kaufen, es ist nicht voraussehbar, es gibt Unordnung, denn es ist sehr lebendig. Solches Spiel hat kaum noch Platz in unserer Gesellschaft. Sogar in den Kindergärten, die noch lange Orte des Spiels waren, ist es nur noch am Rande zu finden.

Es wurde verdrängt von all den von Erwachsenen ausgedachten, angeleiteten, vorgegebenen Spielen. Spielen mit Regeln, Spielen mit Wettbewerb.

Da das urspüngliche, freie Spiel zu den primären Bedürfnissen des Kindes gehört (primäre Bedürfnisse sind: Essen, Schlafen, Schutz, Wärme, Liebe) bedeutet sein langsames Verschwinden eine fast unbemerkt schleichende Zivilisationskatastrophe. Diese Art von Spiel bedeutet aber wirklich Leben für die Kinder.

Ein ungestörtes Kind (und wo ist ein Kind noch wirklich ungestört?) spielt ohne jede Anleitung ganz aus sich heraus von früh bis spät, darin gleicht es jungen Bären oder Kätzlein. Dabei zuzuschauen ist für Erwachsene allein schon erfrischend, belebend und lustig. Es gleicht dem Erlebnis ein munteres Bächlein zu sehen, denn da ist kein Stillstand, da ist Leben, Licht, Klang. Es ist quellend. Spiel ist eine unerschöpfliche Quelle.

Fred Donaldson, der amerikanische Spielforscher, hat viel mit Tieren gespielt, gerne mit Wölfen, und hat viel von ihnen gelernt. Seit vielen Jahren spielt er mit Kindern, Gefangenen, Gangs in New York, alten Menschen, Krebskranken und sie alle atmen auf, wenn sie erleben, dass es ja dieses ursprüngliche Spiel gibt, das Spiel ganz ohne jeden Wettbewerb und ohne Kampf. Unsere Gesellschaft ist ganz und gar durchzogen von Wettbewerb, Aggression, Gewalt und Hektik und das macht uns krank.

Eltern können wieder ins Spiel kommen mit ihren Kindern,

- wenn sie sich auf den Boden begeben, auf einem grossen Teppich, einer Wiese, Matten

-wenn sie rund und weich werden und den Kindern die Sicherheit geben, dass ihnen nichts geschieht und niemand stärker oder schneller oder besser sein muss. Kinder, die sich nicht sicher fühlen, können nicht ins Spiel kommen.

Dann rollen, krabbeln und tummeln sich Kinder und Eltern. Es geht oben durch, unten durch, alles mit grösster Freude, schnell und langsam. Die Kinder beginnen zu leben und zu glühen. Fred Donaldson nennt dieses Spiel „die Mutter aller Therapien“, (original play) denn es ist alles darin enthalten, was Menschen brauchen. Wir nannten  es auch „Kätzchenspiel“.

Gut gehandhabt geraten die Kinder dabei nicht ausser sich, sondern es geht zu wie in einem Schwarm von Delphinen: Bewegung mit grosser Energie – zur Ruhe kommen – neue Energie und wieder zur Ruhe kommen wie von selbst (die Ruhe wird nicht diktiert, sie kommt natürlich, ganz selbstverständlich)

Regeln für Erwachsene: am Boden bleiben, nicht festhalten, nicht packen, nie kitzeln.

Ausser diesem ursprünglichen Spiel, an das sich nicht alle wagen, empfiehlt es sich jeden Tag eine Zeit für „Bodenspiel“   mit kleinen Kindern einzuplanen. Eine Zeit, in der sie ganz da sind für das Kind, sich aber ganz zurückhalten, und auf keinen Fall das Kind „bespielen“. Die Spielideen kommen vom Kind, halten Sie sich ganz zurück. Die Kinder werden nachgerade erdrückt von Eltern, die dauernd vorzeigen und wissen, „wie es geht“. Staunen Sie über die Ideen ihres Kindes. Jedes Kind trägt einen grossen Schatz in sich und die Fähigkeit, sich gesund zu spielen. Das Spiel hat eine eigene Sprache, durch die das Kind mitteilt, mit was es sich beschäftigt. Es ist ein Spiegel des Kinderalltags und der Kinderseele.  Das mag zuweilen skurill erscheinen, fremd oder sogar beängstigend. Keine Sorge. Beängstigend ist es erst, wenn ein Kind gar nicht mehr von sich aus spielt. Diese Bodenzeiten können ein festes Vertrauensband weben, welches das gegenseitige Verhältnis für ein ganzes Leben stärkt. 

Kennen Sie einen Platz in der Natur, der spielanregend ist? Ich erinnere mich an einen Platz am Alpenrhein mit vielen Steinen, Sand, einem Seitenzufluss, Schwemmholz und Schattenbäumen. Zwei Familien mit je vier Kindern verbrachten über Jahre viele Sonntage an diesem Platz und die Kinder spielten unaufhörlich. (Wunderbar für die Eltern) Hier brauchte es wahrlich kein Unterhaltungsprogramm! Wasser, Sand, Holz und Feuer, genügten. Einige Schaufeln und Kessel wurden mitgebracht, sonst nichts. Bieten Sie den Kindern und sich elementare Erlebnisse und das Spiel wird aufblühen und die Menschen gesunden.

Maria Luisa Nüesch

Autorin: „Spiel aus der Tiefe – über die Fähigkeit der Kinder, sich gesund zu spielen", „Begleitungskunst in Eltern-Kind-Gruppen, Orte der Ruhe, des Respekts, der Einfühlung und der Entfaltung für Babys und ihre Eltern.“